25.03.2021 - „Muskelschonende Operationsverfahren“

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FAZ Doppelinterview mit Prof. Hajo Thermann und ATOS CEO Martin von Hummel

Martin von Hummel, CEO der ATOS Kliniken, und Prof. Dr. Hajo Thermann, Ärztlicher Direktor der ATOS Klinik Heidelberg, über Orthopädie, Rückenschmerzen und Cluster, die die gesamte Behandlungskette von der Diagnose bis hin zur Operation und Nachbehandlung abdecken.

Welche orthopädischen Operationen werden am häufigsten durchgeführt, und wie ist die Erfolgsquote?

MvH: Unser Leistungsspektrum umfasst den gesamten Bewegungsapparat von Fuß bis Schulter. Dabei liegt der Schwerpunkt im Bereich der Endoprothetik. Hier werden ganze Gelenke oder Teile davon dauerhaft ersetzt, wenn das körpereigene Gelenk krank oder beschädigt ist.

HT: Genau, die häufigsten orthopädischen Eingriffe sind endoprothetische Operationen an Hüft- und Kniegelenken. Das machen wir mit einer Erfolgsquote über 90 Prozent, auf die Dauer von zehn Jahren betrachtet. Generell kann man den 10-Jahres-Erfolg zwischen 80 und 90 Prozent als magische Zahl der Orthopädie bei einer guten chirurgischen Therapie betrachten.

Etwa acht von zehn Bundesbürgern bekommen im Laufe ihres Lebens Rückenschmerzen. Warum sind Rückenschmerzen das Volksleiden Nummer eins in Deutschland?

MvH: Der Hauptgrund ist sicherlich die Abnahme der Aktivität im Alter, dadurch gehen die Muskeln zurück und die Wirbelsäule ist aufgrund der fehlenden Muskelmasse einfach weniger stabil. Dazu kommt ein ganz normaler mechanischer Verschleiß der filigranen Gelenke an den Wirbeln, und die Flexibilität der Bandscheiben nimmt ab. Das engt dann häufig die Nerven ein und muss behandelt werden. Überhaupt bewegen wir uns im Alltag zu wenig, sitzen zu viel. Die aktuelle coronabedingte Homeoffice-Welle an improvisierten Arbeitsplätzen zu Hause wird das sicher nicht verbessern. Das schlägt auf den Rücken. Bei regelmäßigen einseitigen Bewegungsabläufen, bei Überlastung oder auch bei Bewegungsmangel erweist sich unsere Wirbelsäule immer wieder als die Schwachstelle unseres Körpers. Allerdings bedarf es in den seltensten Fällen gleich eines chirurgischen Eingriffs.

Durch die steigende Lebenserwartung werden immer mehr Menschen im Laufe ihres Lebens auf einen Gelenkersatz angewiesen sein. Wie hat sich die Endoprothetik in den letzten Jahren verändert, und wie sieht Ihrer Meinung nach der Gelenkersatz der Zukunft aus?

MvH: Wir setzen in erster Linie auf muskelschonende Operationsverfahren, dabei schaffen wir immer präzisere Eingriffe. Robotersysteme arbeiten hier heute schon mit einer Genauigkeit im Rahmen von rund 500 Mikrometern. Überhaupt ist das Thema Robotik und computerassistierte Eingriffe essentiell bei der Weiterentwicklung der operativen Orthopädie. Künftig sprechen wir möglicherweise von gezüchteten Gelenken, die aus der relativ jungen Disziplin des Tissue Engineering entspringen. Hier arbeiten Mediziner, die menschliches Gewebe nachzüchten, mit dem Ziel, es im Körper einzusetzen.

HT: Wenn man die vergangenen 20 Jahre betrachtet, so hat es in diesem Zeitraum eine Verbesserung der Instrumente, der Werkstoffe als auch des Designs gegeben, das reicht bis hin zum anatomischen Design mit einer anatomischen Kinematik (Anmerkung der Redaktion: Das sind Bewegungsabläufe). Design und Werkstoffe der Zukunft werden ohne Frage durch vorhergehende CT-Untersuchungen mit Software vorab evaluiert. Die Knie- Prothese kommt dann direkt aus dem 3D-Drucker. Heute haben wir metallische Implantate, die in keiner Weise der Elastizität des Knochens entsprechen. Es ist davon auszugehen, dass hier völlig andere Werkstoffe erfunden und implantiert werden, welche dem Knochen wesentlich ähnlicher sind.

Paradebeispiele für die Digitalisierung in der Medizin sind Fachgebiete, bei denen es um die Erkennung und Verarbeitung von immer gleichen Mustern geht: Also Dermatologie, Pathologie und Radiologie. Wo sehen Sie den größten Nutzen in der Orthopädie?

MvH: Diese Muster finden wir natürlich bei Knochen, Knorpeln und dem gesamten Bewegungsapparat genauso vor. Man kann hier durchaus von datengetriebenen Operations-techniken sprechen. Das gilt für die Anfertigung von Individualimplantaten genauso wie bei der Durchführung einer OP. Schon heute nutzen unsere Chirurgen eine Navigationsassistenz, die gefüttert ist mit den anatomischen Daten zahlreicher Patienten. Es versteht sich von selbst, dass diese Daten alle anonymisiert sind. Aber dadurch schaffen wir Genauigkeit, Reproduzierbarkeit und eine Zuverlässigkeit, die kein Chirurg händisch erreichen könnte.

Wie funktioniert Orthopädie im 360-Grad-Modus?

MvH: Wir richten unser Angebot und unsere Kliniken komplett an der Genesungsreise des Patienten aus, wir decken alles ab, was er braucht, bis er wieder gesund ist. Zu diesem Zweck arbeiten wir in Clustern, bestehend aus Praxen, medizinischen Versorgungszentren, einer Klinik, einem OP-Zentrum und der entsprechenden Physio. Ein derartiges Cluster ist immer regional und deckt alles ab: von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Nachsorge. Jeder Patient, egal ob gesetzlich oder privat versichert, bekommt bei uns alles aus einer Hand, wenn er das will. Alles, was geht, führen wir dabei ambulant durch, ansonsten arbeiten wir eben stationär.

Wie viele Kliniken, Praxen und MVZ sind an welchen Standorten an dem Projekt beteiligt?

MvH: Wir verfügen bundesweit über neun Kliniken, drei MVZ, ein OP-Zentrum und über 50 Kooperationspraxen. Dabei sind wir mit jeweils zwei Kliniken in München und Köln aufgestellt, dazu kommen Kliniken in Heidelberg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Braunfels und in Hamburg. An diesen Standorten suchen wir auch weiterhin Kliniken oder größere Praxen, die sich uns anschließen möchten. Die verkaufenden Ärzte beteiligen wir dabei gerne als Gesellschafter. Wir sind aber gleichzeitig auf der Suche nach weiteren ATOS Kliniken in Berlin, Hannover, im Ruhrgebiet oder in Freiburg.

Wie sieht der typische Tagesablauf eines Orthopäden in 15 Jahren aus?

HT: Vielleicht erleben wir schon in 15 Jahren größere Fortschritte in der Holographie, langfristig werden wir das Abbild des Patienten auf dem Schreibtisch oder holographisch sehen können, wie wir das aus Star Wars kennen. Der Patient wird also mehr oder weniger in einem IT-Raum erfasst. Alles Vorgänge, die momentan in einer Sprechstunde handwerklich durchgeführt werden. Es ist ferner auch vorstellbar, dass orthopädische Operationen mit einer Art „Da-Vinci-Gerät“, durchgeführt werden, wie es bereits in der Urologie eingesetzt wird. Das funktioniert dann mit einem Joystick, von einem beliebigen Ort aus. Wir können dann vom Wohnzimmertisch aus eine Notfall-OP ausführen, wenn es schnell gehen muss.

Das Interview führte Dirk Mewis von der FAZ.

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