27.08.2020 - Priv.-Doz. Dr. Patrick Weber und Prof. Dr. Gollwitzer über moderne Operationsmethoden

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Knieprothese: natürlich und individuell

Abbildung A: Schematische Darstellung eines linken Beines: dabei ist ein leichtes O-Bein dargestellt, wie es häufig vorkommt, die Bänder sind in blau dargestellt. Die Gelenklinie fällt etwas zur Innenseite ab. In Rot sind die Schnittebenen für die konventionell eingesetzte Prothese dargestellt, welche nicht symmetrisch sind. B: Beim konventionellen Einbau der Prothese wird jedes Bein geradegestellt. Die Gelenklinie wird ebenfalls unabhängig von der individuellen Anatomie senkrecht zur Beinachse eingestellt. Das führt im Beispiel zu einer Überdehnung des Innenbandes (in Gelb) und zu einem lockeren Außenband (in Orange). Zur Korrektur der Bandspannung muss das Innenband dann operativ aufgedehnt werden. C: Beim kinematischen Alignment werden die Schnitte für die Prothese parallel zur Gelenklinie des Patienten individuell angepasst. Unter Berücksichtigung des Verschleißes wird genau soviel von der Oberfläche entfernt, wie durch das Implantat wieder ersetzt wird, es handelt sich also um einen echten Oberflächenersatz. D: Die Knieprothese wird entsprechend der natürlichen Anatomie des Patienten eingesetzt. Dadurch bleibt die Gelenklinie leicht nach innen abfallend, die Geometrie des Beines anatomisch mit einem milden O-Bein und die Bandspannung identisch zu dem wie sie natürlich war.

Sind konservative Behandlungsmöglichkeiten bei fortgeschrittener Kniearthrose ausgeschöpft, ist ein künstlicher Gelenkersatz oft die letzte Option. Eine moderne Operationsmethode macht es möglich, schonend und erfolgreich Gelenke zu ersetzen – das sogenannte „Kinematische Alignment“. Prof. Dr. Hans Gollwitzer und Priv.-Doz. Dr. Patrick Weber führen die Implantation einer Knieprothese nach kinematischem Alignment seit Jahren mit großem Erfolg durch.


Herr PD Dr. Weber, wie funktioniert der konventionelle Einbau einer Knieprothese?

PD Dr. Weber: Beim konventionellen Einbau einer Knieendoprothese ist das Ziel, dass jeder Patient nach einer Operation ein gerades Bein hat. Dabei wird nicht beachtet, ob vorher ein X- oder ein O-Bein vorlag. Dies wiederum bedeutet, dass alle Knie, unabhängig von individuellen Unterschieden, nach dem gleichen Schema operiert werden.

Das Problem ist aber, dass Menschen mit einem ganz geraden Bein und einer senkrecht dazu stehenden Gelenklinie selten sind. Die Mehrzahl hat ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes X- oder O-Bein, und die Patienten haben über Jahre an diese Beinstellung gewöhnt. Hinzu kommt, dass auch bei gesunden Knien die Gelenklinie zwischen Ober- und Unterschenkelknochen nicht streng senkrecht zur Beinachse verläuft. Sie fällt meist etwas nach innen ab. Dies liegt daran, dass Menschen beim Gehen zur besseren Gewichtsverteilung eher schmalspurig und nicht breitbeinig gehen. Die meisten Menschen kommen in dieser Stellung ihr Leben lang gut zurecht.

Welche Folgen könnte ein konventioneller Einbau haben?

PD Dr. Weber: Durch das Geradestellen des Beines und die Veränderung der Gelenklinie, ignoriert die konventionelle Operationstechnik weitgehend die vorherige Anatomie des Kniegelenkes. Dies kann in einigen Fällen zu einer Zwangsführung des Kniegelenkes mit schlechter Beweglichkeit, unnatürlicher Bandspannung und Schmerzen führen.

Doch gerade das Kniegelenk ist so komplex, dass es empfindlich auf Formveränderungen reagiert. Bereits geringe Veränderungen von Gelenklinie und Beinachse können den Bewegungsablauf zwischen Oberschenkel und Unterschenkel stören und vor allem auch das Gleiten der Kniescheibe negativ beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, dass beim Kniegelenkersatz die natürliche Anatomie des Patienten beachtet wird und eben nicht für alle Patienten die gleiche Implantatposition angestrebt wird.

Herr Prof. Dr. Gollwitzer, was genau bedeutet kinematisches Aligmnent?

Prof. Dr. Gollwitzer: Vor mehr als 10 Jahren wurde in den USA eine Technik entwickelt, welche zum Ziel hat, die Kniegelenksanatomie individuell so zu rekonstruieren, wie sie vor der Arthrose war. Diese Technik nennt sich „kinematisches Alignment“. Alignment ist dabei der englische Begriff für Ausrichtung, und Kinematik bezieht sich auf die Bewegungslehre. Es wird also angestrebt, über eine entsprechende individuelle Ausrichtung des Implantats bei jedem Patienten einen natürlichen und gesunden Bewegungsablauf des künstlichen Kniegelenkes zu erreichen.

Hatte ein Patient z. B. ein O-Bein vor der OP, so wird das Knie im Rahmen der Operation mit einer milden O-Stellung rekonstruiert. Selbstverständlich werden stärkere Fehlstellungen des Gelenkes korrigiert. Diese Einstellung der Knieprothese wird dabei nicht nur in Streckung gewählt, sondern über den gesamten Bewegungsverlauf. Dadurch wird die natürliche Spannung der Bänder über den gesamten Bewegungsablauf wiederhergestellt; genauso wie es der Patient sein Leben lang gewohnt war. Diese Methode führt zu einem sehr harmonischen und stabilen Bewegungsablauf des Kniegelenks, ohne Instabilitäten oder Überspannungen. Die Bänder werden während der Operation nicht verlängert, sondern behalten ihre ursprüngliche Spannung.

Welchen Vorteil bringt das kinematische Alignment für den Patienten?

Prof. Dr. Gollwitzer: Mit der kinematischen Ausrichtung der Knieendoprothese konnte in mehreren wissenschaftlich hochwertigen Studien gezeigt werden, dass der Anteil von Patienten mit bleibenden Beschwerden deutlich reduziert werden kann. Patienten haben häufiger ein sogenanntes „vergessenes künstliches Kniegelenk“; das heißt, dass sie ihr Kniegelenk im Alltag wie das natürliche Kniegelenk verwenden können und nicht daran denken, dass sie ein Kunstgelenk tragen. Durch die Schonung der Bänder und Muskeln können die Patienten meistens schneller mobilisiert werden. Darüber hinaus konnte in biomechanischen Studien bestätigt werden, dass durch eine Ausrichtung mittels kinematischem Alignment auch der Gelenkdruck sinkt und dadurch die Belastung auf das Implantat abnimmt.

Herr PD Dr. Weber, wie würden Sie das kinematische Alignment in zwei Sätzen zusammenfassen?

PD Dr. Weber: Beim kinematischen Alignment wird das künstliche Kniegelenk entsprechend der natürlichen Anatomie des Patienten individuell eingesetzt, was zu einer schnelleren Mobilisation und besseren Ergebnissen führt. Patienten profitieren dabei von einer schnelleren Genesung, einem geringeren Operationstrauma und einem Kniegelenkersatz, der sich in vielen Fällen natürlicher anfühlt.