Die Leidenschaft für Hände geht bei Dr. Michael Lehner so weit, dass er ihr ein ganzes Buch gewidmet hat. In einer Zeit, in der unsere Hände durch Smartphones, Computerarbeit und anspruchsvolle Sportarten wie Tennis oder Golf ständig gefordert sind, ist die Prävention wichtiger denn je. Dr. Lehnert gibt uns einen tiefen Einblick, warum die Hand das „Werkzeug der Werkzeuge“ ist und wie wir ihre Gesundheit langfristig bewahren können.
ATOS Thema: Herr Dr. Lehnert, Sie beschreiben die Hand als das „Werkzeug der Werkzeuge“ und haben ihr ein ganzes Buch gewidmet. Was macht die Hand aus Ihrer medizinischen Sicht so einzigartig und faszinierend?
Dr. Lehnert: Die Hand ist aus anatomischer und funktioneller Sicht ein wahres Meisterwerk. Sie besteht aus zweimal 27 Knochen und rund 30 Muskeln, dazu unzähligen Bändern und Sehnen. Aber die Faszination liegt in der Dichte der Nervenzellen – sie ist der intensivste Ballungsraum des Menschen. Dadurch kann sie Fein- bis Grobmotorik, fühlen, tasten und greifen. Was die Hand letztlich vom Affen unterscheidet, ist die Fähigkeit, unseren Daumen um die anderen Finger herumzuführen – das Opponieren. Ohne diese Fähigkeit, die über das Daumensattelgelenk gesteuert wird, wären wir in unserem Alltag nur sehr bedingt einsetzbar. Aber leider vernachlässigen wir diese Fähigkeiten, da das Leben für unsere Hände zu leicht geworden ist. Wir nutzen im Alltag oft nur noch rund 30 Prozent des Bewegungsumfangs.
ATOS Thema: Das klingt, als wäre unser moderner Lebensstil ein echtes Problem. Welche Alltagsgegenstände oder Verhaltensweisen sehen Sie als die größten Gefahren für unsere Hände?
Dr. Lehnert: Wir schaffen es, uns selbst zu schaden, ohne dass wir es merken. Das Smartphone ist aus medizinischer Sicht alles andere als „smart“ für unsere Hände. Die zunehmende Größe und die unnatürliche Drehung der Hand bei der Bedienung wirken sich oft bis in die Schulter aus. Besonders kritisch ist der Daumen, der durch die Wischbewegungen überdurchschnittlich häufig in einer unnatürlichen Oppositionsstellung ist. Vor 2007, vor dem ersten iPhone, hat unser Daumen diese Bewegung nie regelmäßig ausgeführt, weil sie anatomisch nicht vorgesehen ist. Die Folge ist oft eine Sehnenscheidenentzündung des Daumens. Ähnlich problematisch sind Zwangshaltungen, etwa durch die Computermaus. Monotone Tätigkeiten in einem begrenzten Bewegungsradius führen dazu, dass sich Sehnen und Muskeln nicht mehr richtig entspannen können. Die Arbeit an einer mechanischen Schreibmaschine hatte noch einen gewissen Trainingseffekt, den unsere modernen Tastaturen nicht mehr bieten. Die Folge einer solchen Überbeanspruchung kann ein Mausarm oder eine Maushand mit akuter Sehnenscheidenentzündung sein.
ATOS Thema: Wenn wir uns sportliche Betätigung ansehen: Welche Sportarten sind aus orthopädischer Sicht besonders riskant für die Gelenke?
Dr. Lehnert: Für Menschen, die bereits unter Gelenkproblemen leiden, gibt es einige Tabu-Sportarten. Joggen und Marathonlaufen belasten Knie und Hüften stark durch die enormen Kräfte, die bei jedem Aufprall auf die Gelenke wirken. Squash und Tennis sind aufgrund der schnellen Richtungswechsel, abrupten Stopps und der damit verbundenen Beanspruchung von Knie und Knöchel problematisch. Tennisspieler sind auch anfällig für Verletzungen in Schulter, Ellenbogen und Handgelenk durch die beim Aufschlag entstehende kinetische Energie und Kraftübertragung. Fußball mit seinen ruckartigen Bewegungen und abrupten Stopps ist für Knie-, Hüft- und Sprunggelenke keine gute Wahl.
ATOS Thema: Und wie steht es um die Hände im Sport? Gibt es typische Sportverletzungen, die Sie als Handchirurg häufig sehen?
Dr. Lehnert: Ballsportarten wie Handball oder Volleyball sind oft die Ursache für die häufigsten Verletzungen, die ich nach dem Wochenende sehe. Dabei ist nicht der Ball selbst die Gefahr, sondern die falsche Fangtechnik. Wenn man versucht, den Ball mit beiden aufgerichteten Händen frontal zu fangen, ist die Krafteinwirkung auf die Fingergelenke oft so stark, dass es zu einer Mittelgelenksverletzung oder einem Kapselriss kommt. Die Verletzung wird oft ignoriert und als „verstaucht“ abgetan, aber die nachfolgende Vernarbung der Kapsel kann dazu führen, dass der Finger in einer gekrümmten Position verbleibt. Mein Tipp: Fangen Sie den Ball mit den Handinnenflächen, nicht mit den durchgestreckten Fingern, und öffnen Sie die Hände ein wenig seitlich. Die Amerikaner sind da schlauer. Durch die Eiform des Footballs erwarten die Spieler den Ball mit ihren Händen vollkommen anders – nämlich seitlich und nicht frontal.
ATOS Thema: Viele unserer Leser leiden unter Arthrose. Neben den medikamentösen Behandlungen – welche konservativen Therapien können helfen, und welche Rolle spielt die Eigeninitiative des Patienten?
Dr. Lehnert: Arthrose, wie die Daumensattelgelenksarthrose (Rhizarthrose), ist eine Volkskrankheit, die wir nicht stoppen, aber verlangsamen können. Der Patient hat einen großen Teil des Behandlungserfolgs selbst in der Hand. Konservative Methoden zielen darauf ab, die Entzündung zu bekämpfen und das Gelenk zu entlasten. Dazu gehören:
- Muskelkräftigung und funktionelles Training. Eine gut geführte Muskulatur nimmt dem Gelenk Arbeit ab.
- Osteopathie zur Harmonisierung des Körpers und Verbesserung des Lymphflusses.
- Blutegeltherapie bei entzündeten Gelenken, da der Speichel des Egels über 100 entzündungshemmende Stoffe enthält.
- Akupunktur zur Schmerzlinderung, besonders bei Arthrose und Sehnenscheidenentzündungen.
- Faszientherapie zur Lösung von Verklebungen.
- Die ACP-Therapie (Autologes Konditioniertes Plasma), bei der plättchenreiches Plasma aus dem Eigenblut zur Entzündungshemmung und Regeneration ins Gelenk injiziert wird.
Die wichtigste Erkenntnis: Wer seine Hände nicht ausreichend benutzt, dessen Bewegungsareal im Gehirn wird kleiner. Tägliche, gezielte Übungen sind essenziell, um die Muskeln elastisch und die Gelenke in Bewegung zu halten – denn „Wer rastet, der rostet!“.
ATOS Thema: Neben Arthrose und Sportverletzungen gibt es noch weitere häufige Diagnosen. Könnten Sie uns mehr über das Karpaltunnelsyndrom und den springenden Finger erzählen?
Dr. Lehnert: Das Karpaltunnelsyndrom ist der grippale Infekt unter den Erkrankungen unserer Hände – eines Tages erwischt es fast jeden. Dabei handelt es sich um eine Einengung des Mittelnervs (Nervus medianus) im Handwurzelbereich. Die Symptome sind Taubheitsgefühle oder das „Einschlafen“ der Finger, oft nachts oder bei bestimmten Belastungen wie dem Fahrradfahren. Frauen sind aufgrund hormoneller Umstellungen, besonders in den Wechseljahren oder während der Schwangerschaft, statistisch häufiger betroffen. Falsch diagnostiziert wird das Syndrom oft als Problem der Halswirbelsäule oder als Durchblutungsstörung. Die Operation ist ein kleiner Eingriff, der in den meisten Fällen zur dauerhaften Heilung führt.
Eine weitere häufige Erkrankung ist der springende Finger (Tendovaginitis stenosans). Er spielt in der Champions League der Erkrankungen in den Top fünf. Hierbei entzündet sich die Beugesehne an einer Stelle und verdickt sich. Dadurch passt sie nicht mehr reibungslos durch das Ringbandsystem am Finger, wodurch der Finger einknickt und nur noch ruckartig oder gar nicht mehr gestreckt werden kann – das namensgebende „Springen“. Die Ursache ist unbekannt, aber Diabetiker sind häufiger betroffen. Konservative Therapien, einschließlich Kortisoninjektionen und Physiotherapie, können helfen, aber oft bringt nur die minimalinvasive Operation (perkutane Nadelfasziotomie) mit Durchtrennung des Ringbandes dauerhafte Besserung.
ATOS Thema: Zum Abschluss: Wenn Sie eine einzige Botschaft zur Handgesundheit mitgeben könnten, welche wäre das?
Dr. Lehnert: Hören Sie auf Ihre Hände, bevor sie schreien! Das Schlimmste, was wir unseren Händen antun, ist, sie nicht zu mögen und sie zu vernachlässigen. Unsere Hände sind unsere wichtigsten Werkzeuge. Nutzen Sie sie in ihrem vollen Umfang und pflegen Sie sie. Regelmäßiges Training von Muskeln, Beweglichkeit und Gefühl ist der Schlüssel. Denn nur eine funktionierende Hand ist eine glückliche Hand.