Mai 2020 – Ausgabe 35

Wiedereinstig in den alpinen Skisport nach Kreuzband-Operation

Priv.-Doz. Dr. med. Erhan Basad
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Nina Weinfurtner

Daniel Paech

Keywords: Alpinskifahren, Kreuzband, VKB-Ruptur, Sportfähigkeit, Comeback on snow

Alpines Skifahren zählt zu den beliebtesten Wintersportarten, birgt jedoch ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Knieverletzungen sind die häufigste Folge von Unfällen beim Skisport. Der Wiedereinstieg ins Skifahren nach Knieoperation stellt insbesondere für Amateur- und Freizeitsportler eine große Herausforderung dar. Hierfür ursächlich ist eine Kombination aus neuromuskulär-funktionellen sowie psychologischen Faktoren. Dieser Beitrag behandelt ein Modell zum systematischen Wiedereinstieg in den alpinen Wintersport nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes.

Alpines Skifahren ist weltweit der populärste Wintersport, welcher jedoch mit einem hohen Verletzungsrisiko am Knie (35,6%) verbunden ist. Insbesondere kann es hierbei zur Ruptur des vorderen Kreuzbands (VKB) kommen. Unbehandelt können VKB-Rupturen zu Instabilität und Folgeschäden an Kniebinnenstrukturen wie Gelenkknorpel und Menisken führen, sodass die operative Therapie vorzuziehen ist. Beim Wiedereinstieg in den alpinen Wintersport nach Kniegelenkstrauma bestehen, insbesondere im Amateur- und Breitensport, Herausforderungen, die bedingt sind durch muskuläre und neuromuskulär-funktionelle Einschränkungen sowie durch psychologische Faktoren.

Neuromuskuläre Faktoren

Neben dem reibungslosen Ablauf der Roll-Gleit-Bewegung des Kniegelenkes ist das VKB darüber hinaus wichtigstes Organ der Propriozeption, welches die Wahrnehmung der Gelenkbewegung und Lage im Raum bezeichnet. Verschiedene Neurorezeptoren (Vater-Pacini-, Ruffini-Körperchen, Golgi-Rezeptoren, Mechanorezeptoren und freie Nervenendigungen) sorgen für eine optimale Gelenkstabilität und Bewegungskontrolle unter Miteinbeziehung der Knie-stabilisierenden Muskulatur.

Beim verletzungsbedingten Ausfall des Kreuzbandes kommt es somit zu einer vermehrten und unphysiologischen Belastung der restlichen Strukturen des Kniegelenks. Der Ausfall der propriozeptiven Funktion kann durch verschiedene Tests (z. B. Threshold to detection of passive motion (TTDPM) oder Joint position reproduction (JPR)) als statistisch signifikant nachgewiesen werden. Neben der eingeschränkten Stabilität im Kniegelenk fehlt dem Sportler nach der VKB-Ruptur somit auch eine Information über die Gelenkstellung und Sehnendehnung, die bewusst und unbewusst in Bewegungsabläufen von Relevanz ist. Zahlreiche Studien verweisen zudem darauf, dass eine VKB-Verletzung sich konsekutiv auch auf die Bewegung von Kopf und Rumpf und auf den gesamten Köper auswirkt.

Psychologische Faktoren

Stresssituationen können Verletzungen im Sport begünstigen. Dieser Zusammenhang wurde bereits 1988 als sogenanntes „Stress-Verletzungs-Modell“ von Andersen und Williams beschrieben. Man übertrug dieses Modell auf die spezifische Situation des Wiedereinstiegs in den Sport und untersuchte, inwieweit verletzungsorientierte Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse sowie emotionale Reaktionen nach Verletzungen im Zusammenhang mit dem Risiko einer Wiederverletzung stehen. Kognitive Disposition (Angst, Depression) sowie Wahrnehmungsfehler (Fehlbelastung, Überanstrengung) resultieren in Störungen psychophysiologischer Zustände (Muskelspannung, Aufmerksamkeit) und eingeschränkter Körperwahrnehmung des Sportlers. Aktuelle Studien berichten von Wiederverletzungsraten bis zu 24 % innerhalb der ersten zwei Jahre nach einmaliger Kreuzbandverletzung. Basierend auf diesen Ergebnissen muss der psychologischen Komponente beim Wiedereinstieg in den Sport in besonderem Maße Rechnung getragen werden.

Unser Wiedereinstiegs-Konzept

In der ersten Phase nach durchgeführter Kreuzband-Ersatz-Plastik (Woche 1-6) erfolgt die Einheilung des Transplantates und die Heilung von potenziellen Co-Läsionen des Meniskus oder Knorpels. In dieser Phase sind eine adäquate Schmerztherapie, Kryotherapie, Range of motion (ROM)-Limitierung und ggf. Lymphdrainage vordergründig. Anschließend, ab der 6. Woche bis Ende des 3. Monats postoperativ, sollten eine Wiedererlangung des physiologischen ROM sowie der Aufbau der Muskulatur angestrebt werden. Im Allgemeinen wird der Wiedereinstieg in Kontakt-Sportarten oder Sportarten mit Athletik und Körperbalance abca. sechs Monaten postoperativ empfohlen. Beim Ski-Alpinsport im Amateurbereich ist der zeitliche Abstand zwischen erfolgtem Trauma und erneutem Wiedereinstieg jedoch in den meisten Fällen deutlich größer und variiert interindividuell zwischen einem Jahr (Folgesaison) und mehreren Jahren. Das im Folgenden erläuterte Konzept stellt einen systematischen Ansatz zum Wiedereinstieg in den alpinen Wintersport dar, das von der Schweizer Suvretta Sports School AG zusammen mit Ärzten, Physiotherapeuten und Schneesport-Lehrern erarbeitet wurde (www.suvret-ta-sports.ch). (1) Check-up Gespräch: Initial findet ein Treffen zwischen Patienten und Lehrer statt, um das aktuelle Befinden bzw. noch bestehende Bewegungs- oder Belastungsdefizite zu erfassen. Ferner werden der Unfallhergang sowie mögliche begünstigende Faktoren des Unfallgeschehens erörtert. Im Rahmen des VorabGesprächs wird zudem die Materialwahl überprüft und diskutiert. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Wahl der Skischuhe. Zum Abschluss des Gespräches wird eine Zielsetzung des anstehenden Wiedereinstiegs im Schneesport gemeinsam erarbeitet und formuliert. (2) Praxis im Schnee: Insbesondere zu Beginn sind äußere Faktoren wie Pistenwahl, Witterungsbedingungen und Frequentierung der Skipiste von zentraler Bedeutung. Ablenkungen und potenzielle Stressoren sollen minimiert werden, um „Kopflastigkeit“ beim Gast zu vermeiden und Freiraum zum Lernen und bewussten Fahren zu schaffen. Empathie und Einfühlungsvermögen des Schneesportlehrers sind essenziell, um den Patienten nicht zu über- oder unterfordern. Die Schulung des Körperbewusstseins wird zudem durch Übungen zur bewussten Wahrnehmung von Variation der Belastung, Gelenkstellung und Körperposition gefördert; technische Korrekturen sind hierbei hintergründig. Sofern das ursächliche Trauma beim Schneesport erfolgte, können ferner eine Unfallstellenbesichtigung zur Aufarbeitung des Unfallhergangs und zur Entwicklung angepasster Bewältigungsstrategien für ähnliche Situationen geschaffen werden. Neben der mentalen Unterstützung werden außerdem physische Programmpunkte inkludiert. Besondere Bedeutung kommt dabei der Lockerung des Bindegewebes zu, um Verklebungen der Faszien rund um das Kniegelenk zu lösen.

Diskussion

Raschner et al. konzipierten auf der Basis zweier verschiedener Modelle von Meeuwisse und Bahr et al. eine Übersicht spezifischer Risikofaktoren im alpinen Skisport, in der zum einen zwischen gegebenen Faktoren wie Anatomie, Hormonen und demografischen Faktoren (u. a. Geschlecht und Alter) und zum anderen zwischen veränderbaren Faktoren wie Trainingszustand, Psyche oder Ausrüstung unterschieden wird.

Trainingszustand

Eine defizitäre Stabilität der Körpermitte, auch als „core strength“ bezeichnet, kann eine Verletzung des vorderen Kreuzbands begünstigen. Neben der Beinmuskulatur spielt die Rumpfmuskulatur, die sogenannte „Core“–Muskulatur, eine entscheidende Rolle in der Haltung des Skifahrers, um somit die valgisierenden Kräfte auf das Kniegelenk zu minimieren. In einer prospektiven Studie wurde ebenso gezeigt, dass die Häufigkeit von Kniebandverletzungen nach der Durchführung eines neuromuskulären Trainings um 72 % reduziert werden konnte. Für die Stabilität des Kniegelenks ist dabei auch das Gleichgewicht zwischen hinterer Oberschenkel-(Hamstrings-) und Quadrizeps-Muskulatur von Bedeutung. Basierend auf der Durchführung verschiedener Fitnesstests konnte.