Oktober 2021 – Ausgabe 38

Neue Entwicklungen in der Knieendoprothetik: Robotik, individuelle Implantate, Kreuzbanderhalt

Prof. Dr. med. Christoph Becher

Prof. Dr. med. Christoph Becher
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Keywords: Knieendoprothetik, Robotik, Kreuzbanderhalt

Die Implantation einer Knietotalendoprothese ist bei fortgeschrittener Arthrose ein erfolgreicher operativer Eingriff mit besseren Ergebnissen im Vergleich zum konservativen Vorgehen [1, 2]. In Anbetracht einer allerdings immer noch beträchtlichen Anzahl von unzufriedenen Patienten und immer wieder notwendigen Revisionen aufgrund einer fehlerhaften Achsausrichtung bzw. fehlerhaften Ausrichtung der Prothesenkomponenten (Malalignment) und Instabilität des Knies [3, 4], könnten technische Neuerungen Vorteile mit besseren Ergebnissen bedeuten.

Die technologische Entwicklung in vielen Bereichen unseres Lebens macht sich in zunehmendem Maße auch in der orthopädischen Chirurgie bemerkbar. Die „Individualisierung“ der Medizin hat dabei mittlerweile auch die Knieendoprothetik erreicht. Computerassistenzsysteme mit evtl. zusätzlicher Robotik zur Verbesserung des Alignements und der Bandspannung sind immer häufiger in den Operationssälen anzutreffen. Implantat-Innovationen, wie individuell angefertigte Knieprothesen mit zusätzlicher Planungssoftware oder kreuzband-erhaltende Prothesen, versprechen, die Kinematik und das „Kniegefühl“ zu verbessern. In Zusammenhang mit neuen Erkenntnissen über die variablen Phänotypen des Knies und der Berücksichtigung dieser Individualität ist die Nutzung der technologischen Möglichkeiten mehr oder weniger alternativlos, um die Ergebnisse für unsere Patienten verbessern zu können.

Allerdings müssen neue Innovationen immer auch kritisch gesehen werden. Eine als zukunftsweisend angepriesene technische Neuerung wurde mit dem „Robodoc“ Anfang des neuen Jahrhunderts auf den Markt gebracht und in deutschen Kliniken zunächst häufig eingesetzt. Leider hatte diese technische Neuerung zu großen Problemen mit vielfachen Leidensgeschichten bei ca. 10.000 Patienten gesorgt. Entsprechend waren diese Roboter gut zehn Jahre nach ihrem ersten Einsatz wieder aus den Operationssälen verschwunden. Frühere Modelle kreuzbanderhaltender Prothesen wiesen höhere Frührevisionsraten auf [5] und haben sich bisher nicht weiter durchgesetzt.

Ob neuartige Computerassistenzsysteme, robotische Assistenz und individuelle Prothesen heutzutage als sinnvoll anzusehen sind, soll in diesem Artikel dargestellt und kritisch bewertet werden.

Roboterassistierte Implantationen einer Knieendoprothese

Robotersysteme bieten in Kombination mit der Navigation unter Verwendung von Standardprothesen die Möglichkeit, virtuell zu planen und intraoperativ die Weichteilspannung einzubeziehen. Die notwendige Knochenbearbeitung wird dabei ebenfalls optimiert. Im Vergleich zu den früheren vollautomatischen Robotern (z. B. Robodoc) haben die neuen Systeme sogenannte stereotaktische Eigenschaften mit taktiler Rückmeldung. Dies bedeutet, dass die Operation nicht vollautomatisch von einem Roboter durchgeführt wird, sondern der Operateur den Roboter, welcher den Knochen mit einer Fräse oder Säge bearbeitet, per Hand führt und vorgegebene Begrenzungen des Knochens nicht überschreiten kann.

In Deutschland kommen mittlerweile mehrere Systeme zur Anwendung. Alle Systeme sind auch in den USA durch die strenge United States Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Die Sicherheit der Geräte wurde im Verlauf der Jahre nachgewiesen. Die in der ATOS Klinik Heidelberg verwendete roboterassistierte Technologie Mako Smart Robotics (Abb. 1, Stryker, Kalamazoo / MI, USA), verwendet neben dem Roboterarm und der Navigation eine zusätzliche präoperative Bildgebung, um die intraoperativ gewonnenen Daten abzugleichen. Zunächst erfolgt eine Schnittbildgebung (Computertomographie), um eine detaillierte Visualisierung der Patientenanatomie in dreidimensionaler Form zu erhalten und die Prothesenplatzierung zu planen (Abb. 2). Die Daten des Kniegelenks werden während der Operation dann mit diesen Planungsdaten abgeglichen.

Andere verfügbare Systeme arbeiten z. T. ohne zusätzliche Bildgebung rein durch intraoperative Datengewinnung. Der Nachteil dieser nicht bildbasierten Systeme ist das Risiko von Fehlern, wenn intraoperativ Daten durch den Chirurgen falsch erhoben werden und daraus die Übertragung dieser „menschlichen“ Fehler durch die Navigation und den Roboter („Junk in – Junk out“) folgt.

Bei den bildbasierten Systemen wie Mako sind operationstechnische Fehler durch den Operateur kaum mehr möglich, solange der Operateur durch die notwendige Expertise in der Knieendoprothetik weiß, wie die Prothese im Ergebnis implantiert werden soll. Es ist also keineswegs so, dass vor allem „Anfänger“ profitieren, sondern dass erfahrene Operateure ihre Planung perfekt umsetzen können. Die Präzision der Implantation und damit auch die Sicherheit für den Patienten wird maximiert durch ein automatisches Abschalten der Säge/Fräse bei der Knochenbearbeitung, wo keine Bearbeitung erfolgen soll (z. B. am direkt am Knochen verlaufenden Innenband).

Die Genauigkeit der Operation in Bezug auf die Größenauswahl, die Komponentenplatzierung, die Achsausrichtung und die Rotationseinstellung wird durch die Roboterassistenz im Vergleich zur konventionellen Technik deutlich verbessert [6]. Klinische Studien – mit allerdings noch kurzen Nachuntersuchungszeiträumen – lassen ein verbessertes Ergebnis vermuten. Hierbei profitierten vornehmlich die jungen und aktiven Patienten [7, 8]. Von Nachteil ist vor allem der allgemeine Aufwand zur Planung und Durchführung im Operationssaal und die – vor allem am Anfang – leicht verlängerte Operationszeit. Langzeitergebnisse liegen noch nicht vor, entsprechend kann eine verlängerte Haltbarkeit der Prothese noch nicht beurteilt werden. Im australischen Prothesenregister ist die Revisionsrate für eine Schlittenprothese bei Verwendung der roboterassistierten Navigation im kurzen Beobachtungszeitraum allerdings am geringsten [9].

Verwendung von Patienten-individuellen Implantaten

Die Größen und Formvarianten der konventionellen Standard-Knieprothesen können bisher kaum die Variabilität des menschlichen Kniegelenkes abdecken. Neben der individuellen Knieprothese wird auch das Instrumentarium für eine perfekte Implantation der Prothese individuell hergestellt.

Der Autor verwendet seit ca. zwei Jahren ein neues System zur individuellen Anfertigung einer Knieprothese mit zusätzlicher Planungssoftware (Origin®, Symbios Orthopédie SA, Yverdon-les-Bains, Schweiz). Zunächst erfolgt auch hier eine Schnittbildgebung (Computertomographie), um eine detaillierte Visualisierung der Patientenanatomie in dreidimensionaler Form zu erhalten. Mithilfe einer 3D-Kniesimulation wird ein Modell der ursprünglichen Knieanatomie erstellt (KNEE-PLAN® Technologie). Darauf basierend wird ein Implantat hergestellt, welches der ursprünglichen Form des Knies entspricht und dabei auch die ursprüngliche Beinachse und Gelenklinie wiederherstellt (Abb. 3). Dabei soll eine möglichst physiologische Kinematik des Gelenkes gewährleistet werden. Ziel ist ein „natürliches“ Kniegefühl unter geringerer Invasivität des operativen Vorgehens mit größtmöglichem Erhalt der Knochensubstanz.

Langzeitergebnisse zur Individualendoprothetik am Knie liegen wie bei der Robotik momentan noch nicht vor. Allerdings zeigen bisher veröffentlichte Studien vielversprechende Ergebnisse für die individuellen Implantate, mit deutlich geringerer Frühlockerungsrate als bei vorkonfektionierten Prothesen [2].

Nachteilig ist die geringe Möglichkeit, während des operativen Eingriffes evtl. notwendige Anpassungen vorzunehmen. Daraus resultiert, dass bei kritischer Bandsituation oder größeren Fehlstellungen und Bewegungseinschränkungen die individuelle Knieendoprothetik mit Vorsicht anzuwenden ist. Zudem sind im Vergleich zu den Standardprothesen die Kosten für das Implantat deutlich höher und werden von den gesetzlichen Krankenkassen bisher nicht erstattet.

Verwendung von Kreuzband-erhaltenden Implantaten

Der Erhalt der Kreuzbänder ist immer wieder Bestandteil der Diskussion zur Verbesserung der Kniekinematik. Die Komplexität der Kreuzbandfunktion im arthrotischen und endoprothetischen Knie hat bisher aber nicht dazu geführt, dass sich die kreuzbanderhaltende Knieendoprothetik durchgesetzt hätte. Frühere kreuzbanderhaltende Prothesen wurden auch aufgrund der höheren Revisionsraten bereits wieder vom Markt genommen.

Die Probleme früherer Implantate wurden nun in einer Neuentwicklung einer kreuzbanderhaltenden Knieprothese entsprechend berücksichtigt (Abb. 4). Experimentelle Studien und erste klinische Ergebnisse sind positiv verlaufen und scheinen die von früher bekannten Probleme weitgehend beseitigt zu haben (persönliche Mitteilung). Fundierte wissenschaftliche Publikationen liegen allerdings noch nicht vor, daher wird eine endgültige Bewertung abzuwarten zu sein.

Fazit

Der technologische Fortschritt in der Knieendoprothetik erbringt klar ersichtliche Vorteile für den Patienten. Insbesondere aktive jüngere bzw. jung gebliebene Patienten können von dem Einsatz dieser Technologien profitieren. Ob bei generalisierter Anwendung, nicht nur durch Spezialisten, im Vergleich zum konventionellen Vorgehen insgesamt bessere Ergebnisse und längere Standzeiten der Prothesen mit geringeren Revisionsraten erreicht werden können, muss jedoch noch durch die weitere Erhebung von Daten bewiesen werden. Längerfristige Daten über einen Zeitraum von 15-20 Jahren werden letztendlich für eine endgültige Beurteilung notwendig sein.