Mai 2020 – Ausgabe 35

Der Skidaumen – Verletzungen des ulnaren Seitenbandapparates des Daumengrundgelenkes

Dr. med. Thomas Geyer
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Dr. med. Steffen Berlet
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Dr. med. Katharina Da Fonseca
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Keywords: Ulnares Kollateralband, Skidaumen, Daumengrundgelenk, Instabilität

Diese häufige Handverletzung wird bei leichter oder mittlerer Ausprägung (Grad I und II) konservativ behandelt. Bei drittgradigen Verletzungen und Avulsionsfrakturen wird hingegen meist die operative Therapie empfohlen, um Stabilität und Beweglichkeit zu erhalten und einer Arthrose vorzubeugen.

Die Verletzung des ulnaren Kollateralbandes des Daumens gehört zu den häufigsten Verletzungen der Hand (1, 2). Allgemein bekannt unter dem Begriff Skidaumen tritt sie häufig auf bei unterschiedlichen Sportarten, aber auch in chronischer Form bei Handwerkern („gamekeeper`s thumb“). Die Inzidenz beträgt 50/100.000 Einwohner, sie tritt ca. 10 x häufiger auf als die Verletzung des radialen Kollater albandes (3, 4).

Ein stabiles und schmerzfreies Daumengrundgelenk ist Voraussetzung für ein kräftiges Zupacken und einen suffizienten Pinchgriff. Eine Instabilität führt unabhängig von der Schmerzsymptomatik zwangsweise zu einer deutlichen Funktionseinschränkung und im Langzeitverlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu  einer Daumengrundgelenkarthrose.

Anatomie

Beim Metacarpophalangealgelenk des Daumens handelt es sich im Wesentlichen um ein Scharniergelenk. Im Vergleich zu den dreigliedrigen Fingern ist das Metacarpale-I-Köpfchen am Daumen flacher ausgebildet. Die Hauptbewegungsrichtung ist die Flexion/Extension.

Geringer ausgeprägt sind Ab- und Adduktion sowie Rotation. Durch den größeren Radius des lateralen Kondylus erfolgt in Beugung eine zunehmende Pronation, was die Opposition erleichtert. Die statischen Stabilisatoren des Daumengrundgelenkes sind das ulnare und das radiale Kollateralband sowie die palmare Platte mit den integrierten Sesambeinen. Dynamische Stabilisatoren sind alle das Daumengrundgelenk überspannenden Muskeln bzw. Sehnen, wobei der Hauptstabilisator der M. adductor pollicis ist, weil er Valguskräfte neutralisiert (5, 7). Das ulnare Kollateralband (UCL) besteht aus einem Hauptband sowie aus einem akzessorischen Band. Das starke Hauptband entspringt knapp unterhalb des MC-I-Köpfchens und verläuft von proximal-dorsal nach distal palmar zur Grundgliedbasis (6). Das akzessorische Band verläuft oberflächlicher und palmar zum UCL und strahlt in die palmare Platte und Grundgliedbasis ein. In Streckung spannt sich das akzessorische Band, in 30° Flexion das UCL an. Normalerweise lässt sich bei der klinischen Untersuchung in Streckung ein Valguswinkel von 6°, in Flexion von 12° erzielen.

Pathoanatom E

Akute Verletzungen des ulnaren Seitenbandkomplexes entstehen meistens beim Sport durch Sturz auf die Hand sowie Abduktion und Hyperextension des Daumengrundgelenkes. Durch das häufige Auftreten beim Skisport wurde der Begriff Skidaumen zum Synonym für die Verletzung des ulnaren Kollateralbandes des Daumengrundgelenkes. Zusätzlich sind oft die palmare Platte und die dorsale Kapsel mitverletzt. Dies führt zu einer klinisch und radiologisch sichtbaren Subluxation („palmar sag“) durch den Zug der Adductor-pollicis-brevis-Sehne. Am häufigsten reißt das Band im distalen Anteil, gelegentlich auch mit einem knöchernen Ausriss im Sinne einer Avulsionsverletzung. Risse in Bandmitte oder proximale Ausrisse sind wesentlich seltener. Wenn die einwirkende Abduktionskraft stark genug ist, kann es sein, dass ein Teil des eingerissenen Bandes auf der Adduktorapo-neurose zu liegen kommt und somit eine Heilung bei konservativer Behandlung ausgeschlossen ist. In der Literatur wird die sogenannte Stener-Läsion mit 60-90 % angegeben (8-12).

Klinik

In den meisten Fällen zeigt sich eine deutliche Schwellung ulnarseitig über dem Grundgelenk des Daumens mit lokalem Druckschmerz. Bei ausgedehnten Verletzungen lässt sich manchmal sogar die radiale und palmare Subluxation erkennen.Am meisten Aufschluss über das Ausmaß der Verletzung gibt allerdings die klinische Untersuchung. Die Stabilitätsprüfung sollte immer mit der Gegenseite verglichen werden. Eine Hand hält den MC-I-Schaft/Hals, während die andere unter Sicherung derRotation einen Valgusstress ausübt. Die Prüfung sollte in voller Streckung und 30° Flexion durchgeführt werden. Eine Aufklappbarkeit von mehr als  30° – oder 15° mehr im Vergleich zur gesunden Gegenseite – lässt eine Verletzung des ulnaren Bandkomplexes vermuten (13, 14). Bei alleiniger Aufklappbarkeit in Beugung ist das UCL betroffen, bei zusätzlicher Instabilität in Streckung auch das akzessorische Band. Zusätzlich sollte noch beschrieben werden, ob endgradig ein harter oder weicher Anschlag besteht. Sollte kurz nach dem Unfall aufgrund von Schmerzen die Stabilität noch nicht sicher zu beurteilen sein, so kann die Untersuchung 5 Tage später nach Abschwellen der Weichteile nochmals wiederholt werden.

Diagnostik

Eine Röntgenuntersuchung des Daumens in 2 Ebenen sollte bei Verdacht auf eine UCL-Ruptur immerdurchgeführt werden. Hiermit lassen sich Frakturen des Metacarpale und der Grundphalanx sowie knöcherne Bandausrisse sicher nachweisen. Bei den Basisfrakturen muss man zwischen den eigentlichen Avulsionsfrakturen sowie den Basisfrakturen ohne Verletzung des UCL unterscheiden (15). Hilfreich können hierbei Stressaufnahmen sein. Bei einer instabilen Avulsionsfraktur zeigt sich hierbei eine zunehmende Dislokation des ulnaren Basisfragmentes.

In anamnestisch oder klinisch unklaren Fällen können sowohl die Ultraschalluntersuchung als auch die Kernspintomographie zusätzliche Information liefern. Bei der Ultraschalluntersuchung ist die Aussagekraft stark vom Anwender abhängig (16, 17). Die MRT-Untersuchung ist mittlerweile fast überall verfügbar und liefert ein hohes Maß an Genauigkeit (18, 19).

Therapie

Die UCL-Verletzungen kann man klinisch in 3 Schweregrade unterteilen:

  • Grad I: Zerrung ohne relevante Instabilität
  • Grad II: vermehrte Aufklappbarkeit mit hartem Anschlag
  • Grad III: vermehrte Aufklappbarkeit ohne Anschlag

Grad-I-Verletzungen werden in der Regel konservativ behandelt. Auch Grad-II-Verletzungen zeigen bei der konservativen Behandlung gute Ergebnisse in Bezug auf die Schmerzsymptomatik, Kraft, Stabilität und Bewegungsumfang. Grad-III-Verletzungen mit und ohne Stener-Läsion, dislozierte Frakturen mit Gelenkbeteiligung sowie dislozierte Avulsionsfrakturen sollten in der Regel operativ versorgt werden.

Konservative Therapie

Bei den als stabil angesehenen Grad-I- und II-Verletzungen erfolgt eine Ruhigstellung im Daumencast oder Orthese für 6 Wochen. Dies führt zu einer Schmerzlinderung, Reduktion der Schwellung und Entzündung und schützt das Daumengrundgelenk vor weiteren Verletzungen. Bei der Schienen- bzw. Orthesenanpassung ist besonders darauf zu achten, dass das Endgelenk des Daumens frei bewegt und beübt werden kann, um eine sekundäre Bewegungseinschränkung zu verhindern. Insgesamt sollte das Daumengrundgelenk für 6 Wochen ruhiggestellt werden (20-22). Bei Sportlern kann abhängig von der Sportart in vielen Fällen bereits mit Orthese wieder trainiert werden. Nach Abnahme der Schiene kann dann wieder mit Bewegungsübungen begonnen werden, eine Vollbelastung ist in der Regel nach 12 Wochen möglich. Bei physiotherapeutischer Behandlung ist darauf zu achten, dass kein Valgusstress ausgeübt wird. Meistens ist eine relevante Bewegungseinschränkung des Grundgelenkes nicht zu erwarten. Stabilität und Schmerzfreiheit werden bis auf wenige Ausnahmen erzielt. Wird in den meisten Fällen bei Grad-III-Verletzungen und Avulsionsverletzungen eine operative Therapie empfohlen, so liefert die Literatur allerdings unterschiedliche Ergebnisse. So berichten Landsman et al. (23) über gute Ergebnisse mit einem stabilen und schmerzfreien Daumen nach konservativer Therapie von Grad-III-Verletzungen und gering dislozierten Avulsionsverletzungen in ca. 90 % der Fälle. Insbesondere die Therapie von Avulsionsverletzungen wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Eine konservative Therapie kann bei gering dislozierten Frakturen und klinisch hartem Anschlag in Erwägung gezogen werden. Kuz, Soren und Goodwin zum Beispiel berichten über zufriedenstellende Ergebnisse nach konservativer Therapie gering dislozierter Avulsionsfrakturen (24, 25), auch wenn radiologisch nicht immer eine knöcherne Durchblutung eingetreten war. Dinowitz und Bowers (20, 26) hingegen beobachteten nach konservativer Behandlung eine hohe Anzahl von Instabilitäten sowie persistierende Schmerzen. Die meisten ihrer Patienten wurden sekundär operativ versorgt.

Bei den Avulsionsfrakturen sollten man insbesondere auf die Form und Position des Avulsionsfragmentes achten. Dreiecksförmige Fragmente sind oft um 180° rotiert, sodass der knorpelige Anteil im Frakturspalt zu liegen kommt. Hier ist die operative Therapie indiziert.

Operative Therapie

Die operative Therapie ist indiziert bei instabilen Grad-III-Verletzungen sowie bei den dissoziierten Avulsionsverletzungen, insbesondere bei oben beschriebener Rotation des Fragmentes. Klinisch besteht eine vermehrte Aufklappbarkeit ohne harten Anschlag. Die Aufklappbarkeit beträgt mindestens 30° oder 15° mehr als bei der gesunden Gegenseite. In unklaren Fällen wird eine zusätzliche MRT-Untersuchung durchgeführt. Das Ziel ist eine anatomische Rekonstruktion des UCL, um eine stabile und schmerzfreie Belastungssituation herzustellen.

Die operative Versorgung und Bandnaht bzw. Reinsertion kann bis zu 3-6 Wochen nach dem Unfallereignis durchgeführt werden. Später werden immer häufiger sekundäre Rekonstruktionsverfahren notwendig, auf die in diesem Artikel nicht näher eingegangen werden soll. Bandrupturen in Bandmitte werden durch direkte Naht oder Banddoppelung mit einem 3/0 oder 4/0 resorbierbaren oder nicht resorbierbaren Nahtmaterial versorgt. Die proximalen oder distalen knochennahen Ausrisse werden mit einem Knochenanker refixiert. Transossäre Durchzugsnähte werden in der Akutsituation in unserer Praxis nicht mehr verwendet. Untersuchungen haben gezeigt, dass Knochenanker eine kürze Op-Zeit, besser Pinchkraft und Beweglichkeit sowie eine geringere Komplikationsrate aufweisen (2, 4, 27, 29-31).

Bei der Reinsertion ist besonders auf die anatomische Positionierung zu achten, um postoperative Bewegungseinschränkungen zu vermeiden.

Der proximale Bandursprung liegt hierbei 7 mm proximal der Gelenkfläche, 8 mm dorsal der beugeseitigen Gelenkfläche und 3 mm palmar der dorsalen Metacarpalebegrenzung.Die anatomische Insertionsstelle an der Grundphalanxbasis ist 3 mm distal der Gelenkfläche, 8mm von der dorsalen Begrenzung und 3 mm von der palmaren Begrenzung lokalisiert (28).Die Reinsertionsstelle sollte angefrischt werden, um eine Anheilung des Bandstumpfes zu ermöglichen.Beim operativen Zugang wird eine leicht geschwungene oder s-förmige Inzision gewählt, um den Verlauf des UCL übersichtlich darzustellen. Eine subtile Präparation ist notwendig, um den dorsalen Digitalnerven sicher zu schonen. Ebenso wir die Adduktoraponeurose präpariert und später wieder adaptiert. Dies trägt ca. 20 % zur Stabilität bei (Abb. 10). Beim Knoten der Fäden wird das Grundgelenk in 15° Beugung und leichter Ulnardeviation gehalten. Bei jeder operativen Versorgung werden immer die Knorpelverhältnisse und etwaige Knorpelverletzungen dokumentiert sowie die Integrität des akzessorischen Bandes geprüft und entsprechend versorgt.

Nachbehandlung

In der akuten postoperativen Phase erfolgt eine Ruhigstellung in einem Daumencast oder einer Daumenorthese wie bei der konservativen Behandlung. Hierbei ist besonders auf die Bewegungsfreiheit des IP-Gelenkes zu achten, um postoperative Adhäsionen der EPL-Sehne zu vermeiden. Die Ruhigstellungsdauer beträgt 4-6 Wochen. Bei der Refixation mit einem Knochenanker kann die Beübung des Grundgelenkes in der Flexion/Extensions-Achse schon nach 4 Wochen begonnen werden. Eine volle Belastungsfähigkeit ist nach 3 Monaten erreicht.

Zusammenfassung

Verletzungen des ulnaren Daumenseitenbandes sind häufig. Bei inadäquater Behandlung verbleibt oft eine Instabilität mit entsprechender Schmerzsymptomatik und reduzierter Kraft. Letztendlich entwickelt sich eine schmerzhafte Arthrose, welche dann nur noch mit einer Arthrodese therapiert werden kann.

Bei entsprechender Anamnese ist die klinische Untersuchung und festgestellte Instabilität entscheidend und ausschlaggebend für die Therapieplanung. Eine vermehrte Aufklappbarkeit unter Valgusstress ohne harten Anschlag im Vergleich zur gesunden Gegenseite stellt die Indikation zur operativen Versorgung. Zusätzliche Informationen können Röntgenbilder (knöcherner Ausriss), Ultraschall oder die Kernspintomographie geben. Eine konservative Therapie ist den Zerrungen oder inkompletten Rupturen vorbehalten. Das Ziel der operativen Versorgung ist die Wiederherstellung des anatomischen Bandverlaufes und somit die höchstmögliche Stabilität bei Erhalt der Beweglichkeit. Bei korrekter Behandlung zeigen sich durchweg zufriedenstellende Ergebnisse.