Oktober 2019 – Ausgabe 34

Alignment und Kinematik in der Hüftendoprothetik

Die Kinematik und das Alignment haben in den letzten Jahren auch in der Hüftendoprothetik deutlich an Bedeutung gewonnen. Ziel ist eine Rekonstruktion des Hüftgelenkes, durch die ein annähernd physiologischer Zustand erreicht werden kann. In Kombination mit minimalinvasiven Verfahren ermöglicht dies eine zügige Rehabilitation des Patienten und einen schnellen Rückgewinn der Lebensqualität.

Die Implantation von Hüftendoprothesen gehört in Deutschland zu den häufigsten orthopädischen Gelenkeingriffen. Derzeit werden jährlich über 210.000 primäre Hüft-Totalendoprothesen eingesetzt, hinzu kommen ca. mehr als 35.000 Revisionseingriffe am Hüftgelenk. Weiterhin ist die hüftendoprothetische Versorgung die erfolgreichste Operation in der Orthopädie, die in den meisten Fällen zu einer kompletten Schmerzbefreiung und Wiederherstellung der Gelenkfunktion führt. Daher wird im Rahmen der Hüftendoprothetik auch gerne der Begriff des „Forgotten Joints“ genutzt, da viele Patienten nach der Versorgung keinen Unterschied zur ursprünglichen Gelenkmechanik verspüren und faktisch vergessen, dass sie ein künstliches Hüftgelenk erhalten haben. Durch fehlerhaftes Einsetzen der Prothese kann jedoch die ursprüngliche Biomechanik deutlich gestört werden. Daher sollte das Ziel dieses operativen Eingriffes eine möglichst anatomische Rekonstruktion des Gelenks sein, um muskuläre Dysbalancen zu vermeiden.In der Endoprothetik des Hüftgelenkes gibt es daher verschiedene anatomische Zielgrößen, die bei der Planung des operativen Eingriffes eingehalten werden sollten. Hierzu gehört die Pfannenposition (Inklination und Anteversion) im Becken, die Rekonstruktion des Hüftdrehzentrums, der Abstand des Hüftschaftes zum Drehzentrum (Offset) sowie die Beinlängenrekonstruktion, so dass es im weiteren Verlauf zu keinem Beckenschiefstand kommen kann.

Da seit einigen Jahren neben den geraden Standardschäften auch Kurzschaftprothesen implantiert werden, kommt zusätzlich noch der Rekonstruktion der Anteversion und Antetorsion des Hüftschaftes eine besondere Bedeutung zu. In den letzten Jahrzehnten hing die Rekonstruktion hauptsächlich von der Erfahrung des Operateurs ab. Hier zeigt sich jedoch in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel, da neben der 2D-Planung einer Operation auch eine 3D-Planung möglich ist. So besteht die Möglichkeit, die Parameter vor dem operativen Eingriff zu rekonstruieren und anhand dieser Planung die Operation durchzuführen.

Mittlerweile gibt es bereits erste Ansätze, die Bewegung des zukünftigen Gelenkes zu simulieren, so dass gerade bei starken Fehlbildungen und knöchernen Veränderungen beispielsweise nach Unfällen eine möglichst physiologische Rekonstruktion des Hüftgelenkes möglich ist. Hier besteht unter anderem auch die Möglichkeit, eine Optimierung des Bewegungsausmaßes zu erreichen, so dass es im weiteren Verlauf zu keinem Anschlagen des Hüftgelenkes (Impingement) kommen kann und Luxationen vermieden werden können.

In der Vergangenheit gab es einige Versuche, die Positionierung des Hüftschaftes und der Hüftpfanne durch Roboternavigation zu unterstützen, die sich bis heute jedoch nicht komplett etablieren konnten. Neuere Ansätze kombinieren Navigation und Robotik, so dass hier möglicherweise weitere Verfahren zur präzisen Pfannenpositionierung gefunden werden können. Aktuell nutzen die meisten Operateure zur optimalen Pfannenpositionierung und Schaftgrößenauswahl eine intraoperative Röntgenkontrolle, um die geplante Prothesenlage zu erreichen.

Abweichungen von den oben genannten Parametern führen in der Regel zu klinischen Symptomen, die neben einem hinkenden Gangbild – beispielsweise bei einer Beinlängendifferenz – zu Beckenverkippung mit ISG-Problemen (Iliosakralgelenk) und muskulären Dysbalancen führen können. In der Regel führt dieses zu einer deutlichen Unzufriedenheit der betroffenen Patienten, die dadurch in der Lebensqualität deutlich eingeschränkt sind.

DAS FEMORALE OFFSET

Das femorale Offset beschreibt den Abstand zwischen dem Drehzentrum des Hüftkopfes und der Femurschaftachse. Dabei wird vom Drehzentrum ein Lot nach lateral gefällt und der Schnittpunkt mit der nach proximal verlängerten Femurschaftachse gebildet. Das femorale Offset definiert ebenfalls den Hebelarm der beckenstabilisierenden Muskulatur stark. Bei erhöhtem Offset, d. h. vergrößertem Abstand zwischen Drehzentrum und Schaftachse, ist der Hebelarm deutlich vergrößert. Ist das Offset deutlich reduziert, ist dadurch der Hebelarm deutlich verringert, so dass mehr Kraft für die gleiche Stabilisierung notwendig ist.

Ebenfalls besteht bei einem verringerten Offset die Möglichkeit, dass es zu einem knöchernen Anschlagen (Impingement) bei ausladenden Bewegungen kommen kann. Hierdurch verringert sich das Bewegungsausmaß des Hüftgelenkes deutlich. Das Offset hat außerdem einen deutlichen Einfluss nach endoprothetischer Versorgung. Bei einem sehr hohen Offset erhöht sich deutlich die Kraft, die auf dem Konus und auf dem Implantat lastet. Im Extremfall kann es sogar dazu kommen, dass die Prothese bei falscher Schaftwahl nach medial kippt oder dass das Implantat bricht. Dank der neueren Implantate und Materialien ist dieses Risiko deutlich minimiert worden.

Beinlänge

Vor dem operativen Eingriff ist eine korrekte Planung der Schaft- und Pfannenposition unumgänglich, um neben den anderen gewünschten Parametern eine gleiche Beinlänge zu erhalten. Charakteristischerweise kommt es während einer Arthrosebildung zu einer Beinverkürzung durch Verlust des Gelenkknorpels. Diese kann wenige Millimeter bis teilweise über einen Zentimeter betragen. Bei vielen Patienten fällt dadurch ein deutlich hinkendes Gangbild auf. Ebenfalls ist bei einseitig betroffenen Patienten eine erhöhte Irritation im Bereich des Iliosakralgelenkes (ISG) zu finden, was ebenfalls zu Beschwerden führen kann. Dieses Patientengut klagt neben den typischen Schmerzen in der Leistenregion auch über Schmerzen im Bereich des hinteren Beckens, in Höhe des Iliosakralgelenkes und des lumbosakralen Überganges, die teilweise mittherapiert werden müssen.

Daher ist es wichtig, die Beinlänge zu rekonstruieren (Abb. 1). Sollte dies aus anatomischen Gründen oder aufgrund von Voroperationen oder Unfällen nicht möglich sein, muss die Beinlänge ggf. mittels orthopädischer Hilfsmittel ausgeglichen werden, um eine korrekte Beckenstellung zu erreichen.

Beckenkippung

Die Beckenkippung ist in der Regel eine Folge der Arthrose des Hüftgelenkes. Aufgrund der Arthrose verlieren die meisten Patienten vorerst die Möglichkeit, eine volle Streckung des Gelenkes durchzuführen. Dieses lässt unbewusst das Becken nach vorne kippen (ventraler Tilt), was zu Folgestörungen im Bereich des lumbosakralen Überganges und des Iliosakralgelenkes führen kann. Bei Patienten mit Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule können diese dadurch deutlich verstärkt werden. Wichtig ist hierbei, dass neben einem vollen Bewegungsausmaß auch der Beckengeradstand durch einen korrekten Ausgleich der Beinlänge erreicht werden wird.

Aktuell gibt es verschiedene Studien, die die physiologische Beckenkippung beim Stehen und Sitzen unter-suchen. Sie hat ebenfalls einen Einfluss auf die Positionierung der Hüftpfanne. Insbesondere bei Bevölkerungsgruppen im asiatischen Raum zeigt sich, dass hierbei die Varianz im Stehen und Liegen sehr hoch sein kann, was die Positionierung der Pfanne deutlich erschwert. In Europa findet sich in der Regel nur eine kleine Differenz. Daher ist es essenziell, sowohl einen Beckengeradstand als auch eine physiologische Kippung des Beckens zu erreichen. In der Regel bilden sich Beschwerden, die durch eine falsche Beckenstellung entstehen, nach einer endoprothetischen Versorgung der Hüfte zurück, wenn die Bewegung des Beckens durch die freie Beweglichkeit des Hüftgelenkes wieder reduziert wird.

Drehzentrum

Das Drehzentrum des Hüftgelenkes beschreibt die Mitte des Hüftkopfes in seiner physiologischen Form. Über dieses Drehzentrum werden die Hüftbeugung, Streckung, Innen- und Außendrehung sowie die Abspreizung und Anspreizung durchgeführt. Eine Veränderung dieses Drehzentrums beeinflusst in der Regel den Offset und hat dadurch negative Auswirkungen auf den Hebelarm des Hüftgelenkes. Daher sollte der Operateur bestrebt sein, eine gute Rekonstruktion des Drehzentrums durchzuführen. Dies hängt natürlich stark davon ab, ob die anatomischen Verhältnisse es ermöglichen. Im Falle einer Hüftdysplasie mit verminderter Überdachung des Hüftkopfes kann es mitunter nötig sein, dieses zu medialisieren, um eine gute Verankerung der Pfannenkomponente zu erreichen. Die Rekonstruktion des Drehzentrums hängt ebenfalls sehr stark mit der Positionierung der Hüftpfanne zusammen, die im Falle einer Fehllage ebenfalls zu Beschwerden führen kann. In einigen Fällen ist es auch gewünscht, das Drehzentrum gezielt zu verändern, um beispielsweise eine Fehlanlage und Fehlstellung des Beckens und der Pfanne zu korrigieren.

Positionierung der Hüftpfanne

Bei der Positionierung der Hüftpfanne ist neben der Rekonstruktion des Drehzentrums auch auf die Stellung und Öffnung der Pfanne zu achten. Hierbei spricht man von der sogenannten Inklination (Öffnung der Hüftpfanne nach außen) und der Anteversion (Öffnung der Hüftpfanne nach vorne). Seit Jahren gibt es Orientierungswerte der Pfannenpositionierung, die sich nach den sogenannten Lewinnik-Zonen richten. Diese wurden für die Inklination mit 40° ± 10° und für die Anteversion mit 15° ± 10° beschrieben.Man geht davon aus, dass Pfannen, deren Positionierung sich in diesen Zonen befindet, eine sichere Hüftstabilität erreichen, so dass das Risiko einer Luxation des Hüftkopfes minimiert wird.In den letzten Jahren gibt es jedoch biomechanische Ansätze zur Modifizierung der Lewinnek Zonen. Hierbei werden für die Positionierung der Pfanne die individuelle Beckenkippung und lumbosakrale Orientierungen einbezogen. Generell kann aber davon ausgegangen werden, dass die Positionierung der Pfannen innerhalb der Lewinnek Zonen liegen sollte. Auf die Stabilität des neuen Gelenks hat ferner der Kopfdurchmesser einen großen Einfluss. Aktuell werden Hüftköpfe mit Durchmessern zwischen 28 mm und 36 mm implantiert. Je größer der Kopfdurchmesser, desto stabiler ist das Hüftgelenk und desto geringer das Risiko einer Luxation.

Schaftpositionierung

Bei der Schaftpositionierung gibt es zwei unterschiedliche Konzepte, die mit der Charakteristik des Hüftschaftes zusammenhängen. Hier unterscheidet man zwischen einer Standardschaft-Versorgung oder einer Kurzschaft-Versorgung, die dem Schenkelhals folgt. Bei der Standardschaft-Versorgung, die in den letzten Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt wurde, muss zur Rekonstruktion des Femurkopfmittelpunktes eine Drehung des Schaftes erfolgen. Beim Erwachsenen beträgt die normale Antetorsion ca. 12°, d. h. im Fall einer operativen Versorgung mit einem Standardschaft muss diese durch Drehung des Schaftes nach vorne ausgeglichen werden. Dieses ist jedoch nur eingeschränkt möglich. Zusätzlich besteht neben der Drehung noch eine Kippung des Schenkelhalses nach vorne (Anteversion). Diese macht den Ausgleich des ursprünglichen Drehzentrums des Femurkopfes bei der Verwendung eines Standardschaftes deutlich schwieriger. Das Prinzip der Kurzschaft-Versorgung bezieht sich auf eine komplette Rekonstruktion des originalen Mittelpunktes des Femurkopfes mit proximaler Verankerung des Schaftes im Femur. Hierbei sind die Hüftschäfte deutlich verkürzt, folgen dem ursprünglichen Schenkelhals (Anteversion) und benötigen daher keine Drehung (Torsion) des Implantates. Dabei kann in fast allen Fällen des Drehzentrum rekonstruiert werden.

Es gibt hierfür Schaftsysteme unterschiedlicher Hersteller, die sich vom Design ähneln und ein Verankerungsprinzip im oberen Anteil des Femurs haben. Um den Einfluss der unterschiedlichen Schaftsysteme zu untersuchen, haben bereits einige Forschergruppen diese mittels Finite-Elemente-Analysen untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine annähernd physiologische Weichteilspannung mit den meisten Kurzschaftsystemen erreicht werden kann, wohingegen die Standardschäfte zu unterschiedlichen Spannungsverhältnissen führen können.

In Kombination mit einem muskelschonenden minimalinvasiven Vorgehen scheint dieses die Methode der Wahl zu sein, um die Patienten zügig zu rehabilitieren und schmerzfrei in den Alltag zu entlassen.

Präoperative Planung

Die präoperative Planung besteht in der Analyse des Röntgenbildes des betroffenen Patienten. Hierbei werden alle oben beschriebenen, einzelnen Parameter in die Planung miteinbezogen, um eine physiologische Rekonstruktion zu erreichen. Dieses Vorgehen hat sich mittlerweile als Standard durchgesetzt und sollte von fast allen Operateuren digital durchgeführt werden. Voraussetzung sind hierbei Standard-Röntgenbilder des Beckens, auf dem sich ein sogenannter Referenzkörper findet. Mithilfe des Referenzkörpers kann das Bild kalibriert werden, so dass neben der Rekonstruktion der einzelnen Parameter auch die Implantatgrößen bestimmt werden können. Mittlerweile bieten auch einige Systeme eine 3D-Planung bzw. die Planung einer weiteren Ebene des Hüftschaftes an. Insbesondere bei der Kurzschaftversorgung ist dieses sinnvoll, um die Anteversion des Schenkelhalses in Bezug auf die Femurschaftachse zu analysieren und eine korrekte Lage des Implantates zu planen. Viele Operateure verifizieren ihre Planung intraoperativ mit einer Röntgenkontrolle, um ein bestmögliches Ergebnis für den Patienten zu erreichen.

Fazit

Die Kinematik und das Alignment der Kinematik hat auch im Hüftgelenkbereich deutlich an Bedeutung gewonnen.

Insbesondere die Rekonstruktion des Hüftgelenkes (Offset, Beinlänge, Beckenstellung, Drehzentrum, Positionierung der Pfanne und des Schaftes) hat einen deutlichen Einfluss auf die Zufriedenheit des Patienten nach dem operativen Eingriff. Dieses kann heutzutage durch eine korrekte präoperative Planung des operativen Eingriffes erfolgen. Verbindet man dies mit minimalinvasiven Zugangsmethoden, ermöglicht dieses eine schnellstmögliche Rehabilitation des Patienten und eine sehr hohe Zufriedenheit.

Von Fritz Thorey